Gründerzeit ohne Eidgenossen

Buchtitel


Gründungszeit ohne Eidgenossen
Politik und Gesellschaft in der Innerschweiz um 1300

hier+jetzt, Verlag für Kultur und Geschichte, Baden

2008

Autor

Roger Sablonier
Prof. Dr. phil. I
16.04.1941 bis 08.06.2010
Professor und langjähriger Ordinarius für Geschichte des Mittelalters der Universität Zürich

Besprechung

Mit seinem soeben veröffentlichten Werk Gründerzeit ohne Eidgenossen hat der langjährige, heute emeritierte Ordinarius für Geschichte des Mittelalters der Universität Zürich, Professor Dr. Roger Sablonier, 16.04.1941 bis 08.06.2010, ein beachtenswertes Werk vorgelegt, das ganz gewaltig am schweizerischen Geschichtsbild rüttelt. In absolut fachhistorischer Art und Weise, aber in einer auch für Laien sehr faßlichen, anschaulichen Sprache entwickelt Sablonier ein neues Bild der Zeit zwischen 1291 und 1325.

Hier schreibt der wirkliche Spezialist für jene Epoche, die man Generationen von Schweizern als die Geburtszeit der Eidgenossenschaft beigebracht hat. Mit seinen gründlichen Arbeiten bestreitet auch Roger Sablonier nicht, daß die Anfänge der Schweiz in diesem historischen Zeitraum liegen. Aber er räumt auf mit dem hehren Bild von nach Freiheit strebenden Bauern aus den engen Alpentälern. Aufgrund genauer Quellenanalysen und vor allem auch aufgrund der Einbettung der Waldstätten-Geschichte in die damaligen großräumigen, politischen Intensionen der verschiedenen Könige und Kaiser, die sich an der Reichsspitze abgelöst hatten, zeigt der Historiker ganz andere Hintergründe und Zusammenhänge auf. So suchten die Könige und ihre Adelsfamilien – die Habsburger, die Luxemburger, die bayerischen Wittelsbacher – sich mit Vergabe von Vogtei- und Lehensrechten machtpolitisch die Erreichung ihrer Ziele abzusichern. Die meisten vorhandenen Briefe müssen in diese Zusammenhänge gestellt werden und entpuppen sich somit vor allem als Aktionen zur Herrschaftssicherung, die meist gleichzeitig auch die Ordnung und die Macht der regional herrschenden Schichten sicherten. Dabei spielten offensichtlich die Herrschaft Rapperswil und die daraus entstandenen Erbvorgänge sowie das Kloster Einsiedeln und seine Besitzrechte bedeutende Rollen.

Aus der Sicht von Roger Sablonier sind die Vorstellungen von Bundesgründung, Freiheitsakt, Kernzelle der Eidgenossenschaft vornehmlich Bilder, die im 16. und 17. und dann vor allem Ende des 19. Jahrhunderts an die Anfänge der Schweizer Geschichte herangetragen wurden. Dazu haben sicher die literarischen und musikalischen Werke von Schiller und Rossini ebenfalls noch ihre Beiträge geleistet. Sablonier betrachtet diese Epoche viel nüchterner. Für ihn ist der Morgartenbrief von Brunnen von 1315 das viel bedeutendere Dokument als der Bundesbrief von 1291, dessen vorliegende Ausgabe in bezug auf die wirkliche Zeit der Ausfertigung historisch sehr fraglich ist. Aus dem Brunnemer Brief geht aber ebenso hervor, daß damals nicht im Aufbruch der Landleute neue Zeiten angesteuert wurden, sondern vielmehr in der Verbindung miteinander und in gemeinsamen Regeln untereinander die Rechte von lokalen Adligen und Machthabenden gesichert wurden. Dies scheint durchaus nicht gegen die Interessen der wohl armen Bauernschicht erfolgt zu sein. Für den Historiker Sablonier ist die in seinem Buch behandelte Zeitspanne somit durchaus eine Epoche, in der die Anfänge der Schweiz zu suchen sind. Aber für ihn entsteht der wirkliche Kern zur Eidgenossenschaft erst später, nämlich als die Waldstätte sich mit den Städten Luzern, Zürich und Bern verbündeten.

Sollen wir nun die Bundesfeiern abschaffen? Die Musik nach Hause schicken? Und das Feuerwehrk für Silvester aufsparen? Ich denke: Nein. Zum Glück stehen nicht mehr die drei senkrechten Eidgenossen im Zentrum, die nach Sablonier wahrscheinlich gar nie auf dem Rütli standen. An den heutigen Bundesfeiern stehen zum Glück die Themen unserer Eidgenossenschaft im Zentrum. Und wenn dabei der eine oder andere Blick auf die nun durchlüftete Geschichte gewagt wird, so ist das mehr als erfreulich. Denn erstaunlich ist es allemal, daß unser Land einen kontinuierlichen Weg beschreiten konnte, auf dem immer die Gewinnung, Sicherung und Erweiterung der Selbstbestimmung ein hohes Ziel war. Und das gilt auch dann, wenn es nicht 1291 mit kraftvollen Bauern auf dem Rütli begann, sondern vielleicht erst 1315 mit Menschen aus der Waldstätte, die damals halt über Einfluß und Macht verfügten.

© Rudolf Mohler30. Juli 2008 / Nachtrag 25.05.2011