Bundesfeier 2007

Ansprache in Oberwil

Anläßlich der 1. August-Feier 2007 oblag es mir als Gemeindepräsident, Gedanken zum Bundesfeiertag vorzutragen.

Die Ansprache wurde in Mundart gehalten, eine Version in Hochdeutsch findet sich im Anschluß an den Mundart-Text.

In Baselbieter Mundart



Liebi Chinder
sehr verehrti Anwäsendi us Noh und Färn, und es het einigi, wo vo wyterhär cho sy,
liebi Oberwilerinne und Oberwiler


Die diesjöörigi Bundesfyyr het im Vorfeld ä ganz ä bsunderi Ufmerksamkeit gfunde. Vielmeh, als in dä meischte vergangene Joor.

D Debatte, öb uf em Rütli ä zentrali Bundesfyyr stattfinde söll, het villi Frooge ufgworfe:

Was het me z due, um rechtsextremi Chreft z hindere, dörte d Fyyr z stööre?Wär mueß do drfür in d Hoose? Wär hätti das z zaale? Dr Bund oder die betroffene Kantön und Gmeinde? Isch das sinnvoll, wenn d Bundespräsidenti zämme mit dr Nationalrootspräsidenti ä Fraue-Rütli duurefüehrt?
Vill vo däm het eidütig uf dr Vorbühni zu de Eidgenössische Wahle vom Oktober schtattgfunde.

Und leider isch dorum au vill untergange, wo s scho dr Wärt wer, drüber nochez'dänke:

Bruuche au mir Schwyzerinne und Schwyzer ä stärker yyprägts nationals Symbol, wie das s Rütli durchuus cha sy?Bruucht au euses Land ä Fyyr vom Zentralschtaat, wie das z Frankryych mit dr Parade in Paris zum 14-juillet nit ewäg z dänke weri?Isch das ä Ufgoob vom Bund? Oder söll das ä Sach vom Volk und vo Private sy?Müeßti das nit ä Fyyr für alli sy? Und nit eini, wie das Joor, wo numme für ei Bevölkerigsgruppe dänkt isch?
Do druf hei usser ä paar Publizischte nit vill Lüt versuecht, ä-n Antwort z finde.
D Politikerinne und d Politiker scho grad gar nit he jo, mr sy jo schliesslig scho uf dr Vorbühni zum Schauspiel namens Wahlkampf.

Aber grad Euchi so zahlryychi Präsenz bewyst, dass en 1. August-Fyyr dört aneghört, wo d Lüt sy, wo d Mensche sich au würklig chönne zämmefinde.

Und das cha für mi weder für es paar hundert oder es paar tuusig usglääseni und yygladeni Lüt uf em Rütli sy, no z Lugano uf dr Piazza Riforma. Und au nit uf em Balleberg oder wie n-e ganz Orignelle vorgschlage het z Züri uf em Platz vor dr Nationalbank.

Für my ghört d Bundesfyyr dört ane, wo alli die sich zämmefinde chönne, wo dä Bund, wo die Schwyzerische Eidgenosseschaft usmache: nämlig die Mensche, wo in däm Land läbe, das Land läbenswert finde und öppis möchte drzue bydräge, dass es sich guet wyterentwicklet.

Trotz mym wohl wytumme bekannte starke Bezug zu dr Gschicht und zu Gschichtligem isch mir an-ere 1. August-Fyyr dr Blick in Zuekunft wichtiger, als dä in d Vergangeheit.

Und do falle mr zwe Sache uf, wo-n-i die wyteri Entwicklig mit enere grosse Sorg betrachte due.

Do falle mr zwe Sach uf, wo-n-i dänk, dass si das Läbenswärte vo eusem Land stark beydrächtige wärde.

In dä letschte Joor isch in eusem Land ä Verbotskultur am Wachse, wo s eim langsam foht afoo friere.

Wenn neume in ere gsellschaftlige Entwicklig öppis tatsächlig und hüffig au numme vermeintlig foht afoo in e falschi Richtig laufe, denn ghört me numme no:
verbiete verbiete verbiete.

Das isch für Politikerinne und Politiker vor allem uf dr Bundes- und au dr kantonale Ebeni schnäll gseit.

Dr Vollzug überloht me denn jo sowieso dä-n-andere:
dene vo dr Polizei, vo dä Gricht, vo dä Gmeinde, vo dä Sozialdienschte.

Und für d Medie isch es no fascht schnäller gschrybe als vo dä-n-Andere gseit.
Und au das isch klar: do chamme jo schliesslig au e ganze feins Spegtaggel drus mache.

Numme:Hei mr is mit dr Verbotsforderig au würklig mit em Problem usänandergsetzt?Hei mr is mit dr Verbotsforderig au schon mit Lösige befasst?
Für my ganz klar: nei.

Und drzue: Wer numme no Verbot kennt, kennt kei Ruum meh für Neus!

Ä zweuts Phänomen, wo sich in dä letschte Joore immer stärker uspräge duet, isch ä wachsendi Intoleranz. Das isch öppis, wo me als Gmeinspräsident nit numme eifach beobachte cha, das isch öppis, wo me zmitts drinnestoht und ganz stark miterläbt.

I red do nit vo dere Intoleranz, wo us religiösem Fundamentalismus hervorgoht und wältwyt am Wachse isch.

I red also nit vo dere Intoleranz, wo vo dä islamistische Länder über Rom bis zu dä kreationistische Protestante in dä USA sich ständig usbreitet. Das isch ä Problem für sich.Das isch ä Problem, wo dere Wält und drmit au eus no ganz schwer z schaffe macht.
I red vo dere alldääglige Intoleranz, wo by eus us dr ständig stärker vorhandene Grundhaltig
"Was bringt's?" "Was bringt's myr?" usewachse duet.

Do drus entstoht en Abkapslig gegenüber im Ganze und drmit nit numme es Desintresse an däm, was e Gmein, e Kanton, es Land usmache duet.

Hüffig entstoht dodrus au es Nei-Sääge gegenüber allem, wo sich verändert, und gegenüber allem, wo sich us dere Veränderig use, notwändigerwys au no wyterentwickle muess.

Do drby muess me gseh, dass zwüsche däm Verbiete-verbiete-verbiete und dere wachsende Intoleranz im Alldaag ä starke innere Zämmehang bestoht.

Mir muesse wieder lehre, dass zur Froog
"Was nützt' s myr?" immer au no d Froog ghört: "Was nützt's im Ganze?"
Und us dere Abwägig use sött sich jewyls euses indiviuelle Handle ergeh.

Dorum isch my Wunsch und myni Ufforderig zur Bundesfyyr vom Joor 2007:

ã Bewege mir is ewäg vo dere unfruchtbare Verbotskultur und
gäm-mr dr Toleranz wieder meh Ruum.

In eusem Land hei mr ä grossi Erfahrig, wo mr nit verliere dörfe:

>>> Uf neui Herusforderige hei mir immer mit neue Antworte reagiert,
und mr hei's mitenander gmacht.

Däm het euses Land immer sy beachtlige Wäg und sy beachtlige Erfolg z verdanke gha.

>>> Uf neui Herusforderige hei mir immer mit neue Antworte reagiert,
und mr hei's mitenander gmacht.

Bis hütte het das au immer uf euse Kanton Baselland zuetroffe, wo das Joor sy 175-jöhrigs Bestoh fyyrt und dorum hüte d Fahne näbe-dr Oberwiler Fahne hange duet.

>>> Uf neui Herusforderige hei mir immer mit neue Antworte reagiert,
und mr hei's mitenander gmacht.

Das, liebi Mitbürgerinne und Mitbürger, muess wieder gültig wärde;das steckt jo au z'tiefscht drin im Begriff 'Eidgenosseschaft'.


31.07.2007 RM



Nachträgliche Niederschrift in Hochdeutsch



Liebe Kinder
sehr verehrte Anwesende aus Nah und Fern, und es hat einikge, die von weit her gekommen sind,
liebe Oberwilerinnen und Oberwiler


Die diesjährige Bundesfeier hat im Vorfeld eine ganz besondere Aufmerksamkeit gefunden. Vielmehr als in den meisten vergangenen Jahren.

Die Debatte darüber, ob auf dem Rütli eine zentrale Bundesfeier stattfinden solle, warf viele Fragen auf:

Was ist zu tun, um rechtsextreme Kräfte daran zu hindern, die Feier zu stören?Wer muß dafür in die Hosen?Wer hätte das zu zahlen?Der Bund oder die betroffenen Kantone und Gemeinden?Ist das sinnvoll, wenn die Bundespräsidentin zusammen mit der Nationalratspräsidentin ein Frauen-Rütli durchführt?
Viel von diesen Diskussionen fand eindeutig auf der Vorbühne zu den Eidgenössischen Wahlen vom kommenden Oktober statt.

Und deshalb ist leider auch viel von dem untergegangen, worüber es wert gewesen wäre, nachzudenken:

Brauchen auch wir Schweizerinnen und Schweizer ein stärker eingeprägtes Nationalsymbol, wie es das Rütli durchaus sein könnte?Braucht auch unser Land eine Feier des Zentralstaates, wie das in Frankreich mit der Parade in Paris zum 14 juillet nicht wegzudenken wäre?Ist das eine Aufgabe des Bunde?Oder eher eine Sache von Volk und Privaten?Müßte das nicht eine Feier für alle sein?Und nicht eine, wie dieses Jahr, die eigentlich nur für eine Bevölkerungsgruppe gedacht ist?
Auf solche Fragen haben außer ein paar Publizisten nicht viele Leute versucht, eine Antwort zu finden. Die Politikerinnen und Politiker schon gar nicht ja nun, wir sind ja schließlich schon auf der Vorbühne zum Schauspiel namens Wahlkampf.

Aber gerade Ihre zahlreiche Präsenz beweist, daß eine 1.-August-Feier dort hingehört, wo die Leute sind, wo sich Menschen auch wirklich zusammenfinden können.

Und das kann für mich weder für ein paar hundert oder ein paar tausend ausgelesene und eingeladene Gäste auf dem Rütli, noch in Lugano auf der Piazza Riforma sein. Und auch nicht auf dem Ballenberg oder wie ein ganz Origineller vorschlug in Zürich auf dem Platz vor der Nationalbank.

Für mich gehört die Bundesfeier dorthin, wo all jene sich zusammenfinden können, die diesen Bund, diese Schweizerische Eidgenossenschaft ausmachen: nämlich die Menschen, die in diesem Land leben, dieses Land lebenswert finden und etwas dazu beitragen möchten, daß es sich gut weiterentwickelt.

Trotz meinem wohl weit herum bekannten starken Bezug zur Geschichte und zu Geschichtlichem ist mir an einer 1.-August-Feier der Blick in die Zukunft wichtiger als jener in die Vergangenheit.

Und da fallen mir zwei Dinge auf, deren weitere Entwicklung ich mit großer Sorge betrachte.

Da fallen mir zwei Dinge auf, von denen ich denke, daß sie das Lebenswerte in unserem Land stark beeinträchtigen werden.

In den letzten Jahren ist in unserem Land eine Verbotskultur am Wachsen, bei der es einen langsam zu frieren beginnt.

Wenn irgendwo in einer gesellschaftlichen Entwicklung etwas tatsächlich oder häufig auch nur vermeintlich in eine falsche Richtung zu laufen beginnt, dann hören wir nur noch: verbieten verbieten verbieten.

Das ist für Politikerinnen und Politiker vor allem auf Bundes- und auch auf kantonaler Ebene rasch gesagt.

Den Vollzug überläßt man dann ohnehin den andern:
jenen von der Polizei, den Gerichten, jenen von den Gemeinden und den Sozialdiensten.

Und für die Medien ist es fast noch schneller geschrieben, als von den Politikern gesagt. Und auch das ist klar: aus solchen Themen kann man ganz feines Spektakel machen.

Nur:

Haben wir uns mit der Verbotsforderung auch wirklich schon mit dem Problem auseinandergesetzt?Haben wir uns mit der Verbotsforderung auch schon mit Lösungen befaßt?
Für mich ganz klar: nein.

Und dazu gehört: Wer nur noch Verbote kennt, kennt keinen Raum mehr für Neues.

Ein zweites Phänomen, das sich in den letzten Jahren immer stärker ausprägt, ist wachsende Intoleranz. Das ist etwas, das man als Gemeindepräsident nicht einfach nur beobachtet, das ist etwas, in dem man mittendrin steht und es ganz stark miterlebt.

Ich rede nicht von jener Intoleranz, die aus religiösem Fundamentalismus hervorgeht und weltweit am Wachsen ist,

Ich rede also nicht von jener Intoleranz, die von den islamistischen Ländern über Rom bis zu den kreationistischen Protestanten in den USA sich ständig ausbreitet. Das ist ein Problem für sich.Das ist ein Problem, das diese Welt und damit auch uns noch ganz schwer beschäftigen wird.
Ich rede von dieser alltäglichen Intoleranz, die sich bei uns aus der stets stärker vorhandenen Grundhaltung
"Was bringt es?" "Was bringt es mir?" herauswächst.

Daraus entsteht Abkapselung gegenüber dem Ganzen und damit nicht nur ein Desinteresse gegenüber dem, was eine Gemeinde, einen Kanton, ein Land ausmacht. Häufig entsteht daraus auch ein Nein-Sagen gegenüber allem, das sich verändert, und gegenüber allem, das sich aus dieser Veränderung heraus notwendigerweise auch noch weiterentwickeln muß.

Dabei muß man sehen, daß zwischen diesem Verbieten-verbieten-verbieten und dieser wachsenden Intoleranz im Alltag ein starker innerer Zusammenhang besteht.

Wir müssen wieder lernen, daß zur Frage "Was nützt es mir?" auch immer die Frage gehört "Was nützt es dem Ganzen?". Und aus dieser Abwägung heraus sollte sich unser jeweiliges individuelles Handeln ergeben.

Deshalb heißen mein Wunsch und meine Aufforderung zur Bundesfeier 2007:

ã Bewegen wir uns weg von dieser unfruchtbaren Verbotskultur und
geben wir der Toleranz wieder mehr Raum.

In unserem Land gibt es eine große Erfahrung, die wir nicht verlieren dürfen:

>>> Auf neue Herausforderungen haben wir immer mit neuen Antworten reagiert;
und wir haben es miteinander gemacht.

Dem hat unser Land seinen beachtlichen Weg und seinen beachtlichen Erfolg zu verdanken.

>>> Auf neue Herausforderungen haben wir immer mit neuen Antworten reagiert;
und wir haben es miteinander gemacht.

Bis heute hat das auch immer auf unseren Kanton Baselland zugetroffen, der dieses Jahr sein 175-jähriges Bestehen feiert und darum heute seine Fahne neben der Oberwiler Fahne hängt.
>>> Auf neue Herausforderungen haben wir immer mit neuen Antworten reagiert;
und wir haben es miteinander gemacht.

Das, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, muß wieder gültig werden;das steckt ja letztlich auch zutiefst im Begriff Eidgenossenschaft.

04.08.2007 RM